Von Berlin-Lichtenberg nach Recklinghausen – Gesetzesgehorsam versus Erziehung des Herzens
„Bemüht euch, den kleinen Funken des himmlischen Feuers namens Gewissen in eurer Brust am Leben zu erhalten“
Ein pensionierter Polizeibeamter aus Deutschland, Sohn und Enkel von Überlebenden der Shoa, hat einen offenen Brief im Namen von Dr. med. Heinrich Habig geschrieben, der zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, weil er „keinen Schaden angerichtet hat“.
Gesetzliche Gesetzlosigkeit und übergesetzliches Recht (1946) – Gustav Radbruch – Übersetzt von Bonnie Litschewski Paulson und Stanley L. Paulson
Einleitung
Sagen Ihnen die Namen Ida Jauch, Emma Harndt und Maria Schönebeck etwas? Wenn ja, dann wahrscheinlich deshalb, weil Sie einmal das Buch „Zwei Leben in Deutschland“ von Hans Rosenthal gelesen haben oder einmal an der Gedenktafel für den legendären Rundfunk- und Fernsehmoderator und die drei genannten Frauen im Berlin-Lichtenberger Stadtteil Fennpfuhl waren. Zumindest die Älteren unter uns könnten sich sehr wohl an Hans Rosenthal erinnern. Aber wo ist nun die Verbindung zwischen ihm, den drei Frauen, Berlin-Lichtenberg und der Stadt Recklinghausen? Nun, das ist die Stadt, in der bis vor nicht allzu langer Zeit der Arzt Dr. Heinrich Habig praktizierte. Und Dr. Habig wurde kürzlich in Bochum zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Aber der Reihe nach …
Der Mut von drei Frauen, die Hans Rosenthal das Überleben sicherten
Hans Rosenthal, ein 1925 geborener Jude, und sein jüngerer Bruder Gert verloren früh ihre Eltern. Beide wurden in ein Waisenhaus gesteckt. Hans Rosenthal musste ab 1940 Zwangsarbeit für die Nationalsozialisten leisten. Gert wurde deportiert und überlebte die Nazizeit nicht.
Auch Hans drohte die Deportation mit dem Zug in ein Konzentrationslager, der Tod war ihm gewiss. In seiner Verzweiflung suchte er nach seinen Großeltern, die noch lebten. Rosenthal schreibt in seinem Buch u.a.: „Hansi, sagte meine Großmutter, du kannst nicht bei uns bleiben. Wenn Großvater nicht jüdisch wäre, aber so … die Gestapo kann jeden Tag hier sein, heute oder morgen. Viele jüdische Menschen schlafen nachts nicht mehr zu Hause (…). Sie holen einen nach dem anderen ab. Du musst weg, Hansi.“ Die Großmutter riet dem Jungen, die Näherin Frau Jauch zu fragen, ob sie ihn aufnehmen könne, denn schließlich habe sie ein gutes Herz, sei fromm und hasse die Nazis.
Am 27. März 1943 stand Hans Rosenthal vor der Tür von Ida Jauch in der Kolonie Dreieinigkeit in Lichtenberg. „Ich muss untertauchen, Frau Jauch. Gert ist schon weggebracht worden. Wir haben nie wieder etwas von ihm gehört. Ich wollte Sie fragen, ob Sie mich vielleicht aufnehmen und verstecken können.“ Ihre Antwort: „Du kannst bei mir bleiben, Hansi. (…).“ Sie quartierte ihn in einem Hinterzimmer ihrer Laube ein. Der nur vier Quadratmeter große Raum hatte eine Tapetentür, die von außen nicht als solche zu erkennen war. Der Schuppen hatte ein Fenster von der Größe eines Taschentuchs. Im Inneren des Raumes befanden sich eine Matratze, ein Stuhl, ein Tisch und ein Nachttisch. Obwohl die knappen Lebensmittelzuteilungen für einen Menschen kaum ausreichten, teilte Frau Jauch diese mit dem Jungen. Hätten andere in der Kolonie erfahren, dass Frau Jauch heimlich einen Juden versteckte, hätte das auch für sie fatale Folgen haben können.
Sie zog lediglich einen Menschen in ihr Vertrauen bezüglich des Verstecks für Hans, und das war Emma Harndt. Ihr Mann war Kommunist und wurde bereits 1935 in ein Konzentrationslager deportiert. Er wurde später entlassen und war dann gut genug, um als Soldat an der Front für Deutschland zu kämpfen. Frau Harndt konnte Frau Jauch und Hans in einigen Dingen Unterstützung gewähren. Nach einem Jahr wurde Frau Jauch unerwartet schwer krank und starb. Frau Harndt konnte Hans nicht bei sich aufnehmen, da sie selbst unter Beobachtung stand. In seiner Verzweiflung erinnerte sich Hans daran, dass eine Nachbarin in der Schrebergartenanlage auch Gegnerin der Nazis war. In der Dunkelheit verließ er sein Versteck, suchte Frau Maria Schönebeck auf und fragte, ob er bei ihr bleiben könne. „Na gut, du bleibst bei mir. Du brauchst dich nicht zu stellen. Ich werde dir Unterschlupf gewähren.“ In ihrer Laube quartierte sich der heute 18-Jährige für ein weiteres Jahr ein.
Jede der drei Frauen hat auf ihre Weise dem jungen Hans Rosenthal das Überleben ermöglicht. Ida Jauch und Maria Schönebeck litten wegen ihres Gastes nicht nur noch mehr Hunger, sondern waren auch der Gefahr ausgesetzt, selbst inhaftiert oder in ein Konzentrationslager deportiert zu werden.
Am 25. April 1945 wurde Berlin-Lichtenberg von der Roten Armee eingenommen. Für Hans Rosenthal bedeutete dieser Tag die Befreiung.
In seinen 1982 veröffentlichten Memoiren schrieb Rosenthal:
„Wenn ich heute auf mein Leben zurückblicke, so waren es diese drei Frauen aus der Kolonie „Dreieinigkeit“ – Frau Jauch, Frau Schönebeck und Frau Harndt – deren Hilfe es mir bis heute möglich gemacht hat, nach dieser für uns jüdische Menschen so furchtbaren Zeit unbefangen in Deutschland zu leben, mich als Deutscher zu fühlen, ohne Haß ein Bürger dieses Landes zu sein. Denn diese Frauen hatten ihr Leben für mich gewagt. Ich war nicht mit ihnen verwandt. Sie hatten mich gar nicht oder nur flüchtig gekannt. Ich hätte ihnen gleichgültig sein können. Aber sie waren gute und gerechte Menschen (…).„
Es sind gerade diese Geschichten von Menschen, die uns leiten können, weil sie sich nicht dem Zeitgeist gebeugt haben. Zu Recht werden für solche mutigen Menschen Gedenktafeln aufgestellt, Straßen, Plätze und Schulen nach ihnen benannt, sie werden in Berichten, Büchern, Dokumentationen usw. erwähnt. Wir sind aufgerufen, nicht nur ihr Andenken zu ehren, sondern auch die aktuellen Entwicklungen in ihrem Sinne aufmerksam und wachsam zu beobachten. Freiheit und kritisches Beobachten nutzen sich ab, wenn sie nicht intensiv genutzt werden.
Corona, das Handeln des Arztes Dr. Heinrich Habig und der Strafprozess gegen ihn
Mit Beginn der Corona-Krise im Frühjahr 2020 ahnten diejenigen, die sich abseits der Verlautbarungen der Politik und der Leitmedien informierten, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Es wurde offiziell gesagt, dass man auf die schnellstmögliche Entwicklung von Impfstoffen gegen C setzen würde, um die Menschen möglichst flächendeckend zu impfen. Wem nutzte das tatsächlich?
Meine Eltern hatten mich bereits in meiner Grundschulzeit mit dem Satz „Je stärker Werbung und Propaganda sind, umso größer muss dein Misstrauen sein!“ geimpft. Dieser Sinnspruch hält bei mir bis heute. Und wenn ich doch irgendwelche Zweifel an meiner Distanz zu den angebotenen Impfstoffen hatte, dann zerstreute sie meine Hausärztin mit der Formulierung „Wir stellen uns ganz weit hinten an und warten erst einmal ab!“
Im Juni 2023 wurde der Arzt Dr. Heinrich Habig, der seine Hausarztpraxis in der Stadt Recklinghausen hat, vom Landgericht Bochum zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Grund hierfür: Der Arzt soll während der Corona-Krise ca. 600 falsche Gesundheitszeugnisse ausgestellt haben. Trotz ausgegebener Impfbescheinigungen wurden Patienten von ihm nicht injiziert. Zu den Begünstigten gehörten Pflegefachkräfte, die ihrer Arbeit nur mit einer Impfbescheinigung nachgehen konnten.
Eine Ärztin hatte, so die Berichterstattung, von dem Wirken ihres Standeskollegen erfahren und den Fall zur Anzeige gebracht. Daraufhin durchsuchte die Polizei sowohl die Praxis als auch die Wohnung des Arztes und seiner Ehefrau, beschlagnahmte Patientenakten, Impfstoffe und Computer. Die Arztpraxis blieb anschließend geschlossen.
Es lohnt sich, die ausführliche Stellungnahme von Dr. Habig anzuhören oder nachzulesen. Dann versteht man seine hohe fachliche Kompetenz, seine nachvollziehbaren Zweifel zu den offiziellen Corona-Verlautbarungen sowie seine tiefgehende Mitmenschlichkeit gegenüber seinen Patienten, die sich in ihrer Not an ihn gewandt hatten. Der Arzt hatte aus ethischen Aspekten seinen Patienten, die durch verschiedene Lebenssituationen sich in Notsituation befanden, geholfen. Und Dr. Habig ahnte, dass die C-Impfungen erhebliche Nebenwirkungen verursachen könnten.
Dieser Arzt hat offensichtlich gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen. Es stellt sich aber die Frage, ob eine sogenannte kriminelle Energie in seinem Handeln erkennbar war. Dies sollte im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen immer geprüft werden. Für Staatsanwältin Nina Linnenbank war die Aussage des Arztes offenbar kein Grund, von einer Strafverfolgung abzusehen und letztlich auf eine Verurteilung im Prozess zu plädieren.
In der Urteilsbegründung sagte Richterin Breywisch-Lepping, es gebe keinen Grund, das Verhalten von Dr. Habig zu entschuldigen. Stattdessen warf sie ihm nach den mir vorliegenden Informationen eine „rechtsfeindliche Einstellung“ vor. Ein rechtfertigender Notstand, mit der Rechtsanwalt Schmitz die Handlungen von Dr. Habig begründete, sei grundsätzlich gegen Gesetze unzulässig. Und dass sich die Patienten mit den falschen Impfpässen einer faktischen Impfpflicht entziehen wollten, ließ Richterin Breywisch-Lepping nicht gelten. Sie hätten den Rechtsweg beschreiten und gegen die staatlichen Maßnahmen klagen können.
Nun habe ich meine Ausführungen mit der Schilderung eines außergewöhnlichen Vorfalls aus einer menschenverachtenden und -vernichtenden Vergangenheit begonnen. Nein, ich setze die Ereignisse von 1993 bis 1945 nicht mit denen der Corona-Zeit gleich! Aber ich schaue mir Mechanismen an, wie Ausgrenzungen funktionieren, wie Menschen manipuliert, gedrängt und eingeschüchtert werden können. Es kann auch schlechte Gesetze und Verordnungen geben.
Das Grundgesetz unterscheidet in Artikel 20 (3) GG zwischen Recht und Gerechtigkeit, an die die drei Teilgewalten gebunden sind. Jeder angehende Jurist lernt dies gleich zu Beginn seines Studiums, u.a. in Verbindung mit den Thesen von Gustav Radbruch. Er hat 1946 in einem Aufsatz über „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“ unter anderem formuliert, dass sich das positive Recht an der Gerechtigkeit messen lassen muss. Grundsätzlich hat das positive Recht Anspruch auf Gehorsam, widerspricht es der Gerechtigkeit in unerträglicher Weise, wird es durchbrochen. Ist Gerechtigkeit bei der Rechtssetzung generell missachtet worden, haben es die geschriebenen Worte niemals zu einem Gesetz gebracht. An die Stelle gesetzlichen Unrechts habe in diesem Fall übergesetzliches Recht zu treten. Ob die Thesen von Radbruch im Prozess gegen Dr. Habig hätten angewandt werden können, ist juristisch gewiss strittig. Es wäre zumindest, so meine Ansicht, notwendig gewesen, in diesem Fall darüber zu diskutieren, um so zu einer angemessen Rechtsfindung zu gelangen..
Vor allem eine Beschreibung des Arztes ist menschlich so ergreifend, dass sie geradezu zum Ungehorsam aufruft:
Eine sehr junge Mutter kam plötzlich unangemeldet in meine Praxis, weinte und konnte kaum sprechen, so aufgeregt war sie. Nachdem sie sich gefasst hatte, erzählte sie mir, dass sie vor 48 Stunden im Krankenhaus ihr Baby gesund zur Welt gebracht hatte und heute nur für eine Stunde in ihrer Wohnung war, um etwas für das Baby zu holen. „Jetzt darf ich nicht mehr zurück ins Krankenhaus zu meinem Baby, weil ich nicht geimpft bin“, schluchzte sie.
– Dr. Rudolf Habig, Zeugenaussage vor Gericht
Gerade in einer solchen Situation ist Herzensbildung gefragt, an der sich im Rahmen der eigenen Möglichkeiten das Handeln auszurichten hat. Und hier sind wir an dem Punkt, an dem wir uns fragen: Wie hätten Frau Jauch, Frau Harndt und Frau Schönebeck gehandelt, wenn sie an der Stelle von Dr. Habig gewesen wären? Und um noch weiter zu gehen: Hätten sie die angeblich rechtlich verbotenen Handlungen eines Kollegen aus Recklinghausen bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft angezeigt, wie es die Ärztin getan hat, und vielleicht auch bei der Ärztekammer? Und hätte eine der drei Frauen, wenn sie heute noch leben und Staatsanwältin oder Richterin wären, auch so rigoros gegen Dr. Habig ermittelt und dann entsprechend für eine Verurteilung plädiert oder ihn verurteilt?
Zum Gesetzesgehorsam gehört stets der Zweifel verbunden mit der Betrachtung eines übergeordneten Konstrukts. Dieses beinhaltet einen Blick auf den individuellen Menschen verknüpft mit der Ergründung der Motive für sein Handeln. Die bloße Durchsetzung von Gesetzen und Verordnungen um ihrer selbst willen verbietet sich aus Aspekten des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Und dieser hat bekanntermaßen Verfassungsrang.
Dr. Heinrich Habig hat es für seinen Fall so formuliert:
„Der Arzt hat sein Handeln am Wohl des Patienten auszurichten; insbesondere darf er nicht das Interesse Dritter über das Wohl der Patienten stellen. Wenn man mich deshalb kriminalisiert, weil ich Menschen geholfen habe, dann ist das eben der Preis, den man für die Verteidigung der Menschlichkeit bezahlen muss.„
–Dr. Heinrich Habig
Vielleicht werden die mir namentlich nicht bekannte Ärztin, die Staatsanwältin Linnenbank und die Richterin Breywisch-Lepping irgendwann erkennen, welche menschliche Größe mit Herrn Dr. Habig hier im Namen des Volkes der Prozess gemacht wurde. Denn der darf sehr wohl in einem Atemzug genannt werden mit Ida Jauch, Emma Harndt und Maria Schönebeck. Im Hauptmann von Köpenick sagt der Schuster Wilhelm Voigt, dass erst der Mensch und danach die Menschenordnung kommt. Oder um ergänzend George Washington zu zitieren: „Bemühe dich, in deiner Brust den kleinen Funken himmlischen Feuers, das Gewissen, nicht verlöschen zu lassen.“ Vielleicht wird in fernen Tagen einmal nach Dr. Heinrich Habig eine Straße benannt und eine Gedenktafel für ihn errichtet. Heute erhoffe ich zumindest für diesen Arzt staatliche Gerechtigkeit.
Thomas Willi Völzke
Polizeibeamter a.D
Sohn und Enkel von Überlebenden der Shoa
Deutschland
Ursprünglich veröffentlicht von Never Again Is Now Global. Uwe Alschner ist Verleger, politischer Kommentator und Übersetzer (Deutsch/Englisch). Nach dem Studium der Geschichte (PhD) und der Anglistik (M.A.) begann er seine berufliche Laufbahn im Auswärtigen Amt, von wo aus er im Stab hochrangiger Politiker in Deutschland tätig war. Im August 2020 reiste Uwe nach Berlin, um die Rede von Robert F. Kennedy Jr. auf einer Freiheitskundgebung zu hören. Seitdem unterstützt Uwe die CHD. Kürzlich übersetzte Uwe das Buch „Turtles all the way down. Impfstoffwissenschaft und Mythen“ ins Deutsche.
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